Eröffnungsrede zur Ausstellung "Christiane Middendorf" von der Kulturwissenschaftlerin Donata Holz in der Galerie Andalusien Art, Worpswede am 22.01.2005
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich begrüße Sie ganz herzlich und freue mich, Ihnen heute die Bilder von Christiane Middendorf vorstellen zu dürfen.
„Die verborgene Welt der Farben“ hat die Künstlerin diese Ausstellung genannt, denn die Farbe ist es, die
hier allein zum Bildgegenstand wird und uns bereits auf ersten Blick in den Bann zieht.
„Die Freude an Farben, einzeln oder in Zusammenstimmung empfindet das Auge als Organ und teilt das
Behagen dem übrigen Menschen mit...“ so formulierte es bereits Johann Wolfgang von Goethe in seiner
Farbenlehre.
Die Fähigkeit, Farben überhaupt sehen zu können, ist dem Menschen, aber nicht allen Tieren zu eigen. Das
Farbensehen ist ein Prozess auf der Netzhaut, bei dem Licht unterschiedlicher Wellenlängen als
verschiedenfarbig erkannt werden kann. Der Mensch ist in der Lage etwa 600.000 Farbnuancen zu
unterscheiden.
Die Kunst hat die von den Farbempfindungen ausgelösten ästhetischen Erlebnisse des Menschen in
vielseitiger Weise in ihren Dienst gestellt. Dabei beließ man es nicht ausschließlich bei der
ästhetischen Wirkung, die Farbe wurde zu allen Zeiten auf verschiedene Weise zum Symbolträger.
Gelb
beispielsweise gilt als Farbe der Ewigkeit, aber auch als Zeichen des Neides während Grün als
vermittelnde, beruhigende und erfrischende Farbe betrachtet wird, und Violett wird die Eigenschaft der
Besonnenheit und des Gleichgewichts zwischen Sinnen und Geist zugeordnet, um nur einige Beispiele zu
nennen.
In der Kunst hat sich die Position der Farbe im Laufe der Jahrhunderte gewandelt. Bis zum Beginn der
Klassischen Moderne galt sie als beschreibendes, authentisches Moment der Natur. Sie wurde zum Ende des
19. Jahrhunderts, mit dem Beginn des Impressionismus, allmählich autonom.
Ab diesem Zeitpunkt setzten die Künstler die Farbe nach ihrer individuellem Empfindung ein.
1888 schrieb van Gogh zu seinem Gemälde 'Der Sämann', auf dem ein gelber Himmel und ein blaues Feld zu
sehen ist: „...mit der Wahrheit der Farbe ist es nicht so genau genommen...“
Bald folgten die blauen und roten Pferde von Franz Marc und 1912 postulierte Kandinsky in seiner Schrift
"Über das Geistige in der Kunst", den autonomen, vom Gegenstand unabhängigen Ausdruck von Form und
Farbe.
Es entwickelten sich Kunstformen wie der abstrakte Expressionismus, die freie gestische Malerei des
Informel und des Tachismus.
In dieser Tradition ist auch die Malerei von Christiane Middendorf zu sehen.
Zufälligkeit bestimmt ihren schöpferischen Prozess ebenso wie die bewusste Wahl, denn in jeder neuen
Arbeit versucht sie, die schöpferischen Möglichkeiten zu verändern, indem Bestehendes mal erweitert und
mal verengt wird und dabei gleichzeitig Neues erschließt.
Trotz ihres freien expressiven Ausdrucks verfolgt die Künstlerin seit vielen Jahren ein Thema. Es geht
ihr um die Abstraktion von Brüchen, Trennungen, Verzweigungen und Unterschieden, die sie in ihren
Bildern zu einer Einheit bringt.
In der Wahrnehmung von Unterschieden, sie zu erkennen und neu zu gestalten, sieht die Künstlerin den
Schwerpunkt und vor allem die Herausforderung ihrer Arbeit.
Auch wenn sie unter diesem Aspekt ihre Malerei als einen Prozess versteht, so bauen die Bilder nicht
zwangsläufig aufeinander auf, sondern entwickeln sich immer wieder neu.
Wohl gibt es Reihungen mit Titeln wie "Humus" oder "Multiples", die auf Arbeitsprozesse an einem Thema
oder einer Farbwelt verweisen.
„Jedes entstandene Bild hat eine Rückwirkung und bewirkt ein anderes Herangehen an das Kommende. So
entwickelt sich ein Lernprozess, der immer wieder die neue Grundlage zur Abstraktion darstellt. Es ist
stets eine Auseinandersetzung mit meiner Person", sagt die Künstlerin.
So entstehen ihre Bilder auf einem Weg, auf dem Kopf und Gefühl zusammen wirken, kein rein emotional
intuitiven Malprozess also, es findet vielmehr eine Verbindung von „Bewusstsein und Empfindung“ statt.
Treten wir nun als Betrachter vor die Bilder von Christiane Middendorf, so haben wir keine Chance
Anleihen an figurative Elemente oder Gegenständliches zu finden. Zu gern sucht der Betrachter zunächst
nach Bekanntem im Bild, um sich ihm leichter nähern zu können.
Doch hier geht es nicht um eine schnelle Erkennbarkeit, vielmehr zwingen uns die Bilder inne zu halten.
Sie ziehen uns unweigerlich in die Tiefe und fordern uns heraus, das Geheimnis zu ergründen, das
Geheimnis, das die verborgene Welt der Farben offenbart.
Schauen wir uns nun die Bilder gemeinsam an. Als erstes möchte ich auf das zweite Bild in der Reihe
eingehen.
Mit gestischen Bewegungen, so scheint es, hat die Künstlerin die Farbe hier aufgebracht. Dabei nutzt sie
meist nur einen Pinsel für das gesamte Bild, so dass sich die Spuren der verschiedenen Farben immer
wieder miteinander vermischen
Hier haben wir die unterschiedlichen Gelb- und Ocker- und Rosttöne. Es gibt keine klaren Lininen,
vielmehr scheinen die Übergänge diffus, die Farben schweben miteinander über das Bild. Dieser Prozess
wird zwar von der Künstlerin durch die Wahl der Leinwand begrenzt, doch kann man sich durchaus
vorstellen, dass sich die Bewegungen der Farben fortsetzen. Anders ist es mit diesem Zeichen dem weißen
Kreuz dort oben in der Ecke. Ein klar definiertes Zeichen, wie man sie in den Arbeiten von Christiane
Middendorf nur selten findet.
Hier scheint als hätte es hier seine feste, unverrückbare Position, weist es uns vielleicht auf das
Geheimnis hin, das in diesem Bild verborgen liegt.?
Eine Explosion von Farben sprengt in dem nächsten Bild nahezu die Leinwand. Aus einer großen Tiefe des Bildes scheinen die Farben an die Oberfläche zu drängen. Im Gegensatz zu den vorherigen gedämpften Tönen sind es leuchtend kräftige Farben wie Rot, Gelb, Blau und Orange Sie bahnen sich ihren Weg und suchen sich seinen Raum, dabei, so scheint es, will sich jede die erste Position erobern. Vergleichen wir jetzt diese beiden Bilder miteinander, so fließen die Farben im ersten Bild eher zusammen, schmiegen sich aneinander und gleiten gemeinsam weich über die Fläche. Im zweiten Bild stehen die Farben eher einzeln für sich, die Abgrenzungen sind klarer, die Kontraste sind eindeutig. Dennoch gibt es keine klaren Linien, die durch das Bild führen. Eine Farbfamilie finden wir wiederum in der Reihe, der die Künstlerin den Titel "Humus" gegeben hat. Hier bestimmen erdige Tönen von Schwarz über Braun bis zu Ocker das Bild, ergänzt durch weiße Akzente. Sie sehen allein an diesen drei Bespielen wie facettenreich und immer neu die Kompositionen der Farben sein können. Sie bieten ein Fülle immer neuer Möglichkeiten und Variationen. Die von der Künstlerin angelegten Brüche, Trennungen und Verzweigungen ahnen wir innerhalb der Verläufe und Bewegungen der Farben. Gleichzeitig nehmen wir eine große Tiefe in den Bildern wahr, die Künstlerin baut ihre Bilder in unterschiedlichen Schichten auf, so dass die Farben scheinen auf unterschiedlichen Ebenen zu liegen scheinen und so ebenso auch Mittler und Zeichen für Zeit und Raum werden.
Ein wichtiger Faktor bei der Betrachtung der Arbeiten ist das Licht, das durch seine ständig wechselnde Position die Bilder verändert und anders erscheinen lässt. Die Künstlerin bezieht diesen Faktor bewusst in ihre Entwicklungen ein: „Da die Farben oft in mehreren Schichten übereinander liegen, birgt so manches Bild ein Geheimnis, das erst durch das Licht gelüftet wird" sagt sie. Auf diese Weise lassen sich die Bilder immer wieder neu betrachten und offenbaren immer wieder andere Aspekte, Ansichten und Wahrnehmungen. In manchen Bildern kommt es zu einer gewissen Plastizität, einmal durch den pastösen Auftrag von Farbe und zum anderen durch eine zarte Modellierung von Spachtelmasse. Diese Arbeitsweise holt die Bilder aus ihrer Flächigkeit heraus und macht sie lebendig. Gleichzeitig wird an diesen Stellen das Licht auf besondere Weise gebrochen, so dass sich wiederum neue Dimensionen ergeben.
Wir als Betrachter vertiefen uns nun in die einzelnen Kompositionen, entdecken die verborgenen Welten, die sich in immer anderer Weise offenbaren und die ein jeder von uns für sich ganz individuell spürt und wahrnimmt. Farben lösen bei uns unterschiedliche Stimmungen und Gefühle aus. Wir fühlen uns angezogen oder abgestoßen, spüren Wärme und Kälte, so dass das ein Farberlebnis nicht allein das Auge, sondern auch die weiteren Sinne berührt und Emotionen auslöst.
„Die Freude an Farben, einzeln oder in Zusammenstimmung, empfindet das Auge als Organ und teilt das Behagen dem übrigen Menschen mit", sagte Goethe und weiter heißt es: „Ich habe nichts dagegen, wenn man die Farbe sogar zu fühlen glaubt.“ Kandindsky geht mit seinen Betrachtungen über die Farbe noch ein Stück weiter: Bei dem Anblick von Farben, so Kandinsky, „kommt ein physische Wirkung zustande , das Auge selbst wird durch Schönheit und andere Eigenschaften der Farbe bezaubert. Der Schauende empfindet ein Gefühl von Befriedigung, Freude, wie ein Gastronom, wenn er einen Leckerbissen im Munde hat. Oder es wird das Auge gereizt, wie der Gaumen von einer pikanten Speise. Es wird auch wieder beruhigt oder abgekühlt wie der Finger, wenn er Eis berührt(...) Und ebenso, wie das physische Gefühl der Kälte des Eises, wenn es tiefer eindringt, andere tiefe Gefühle erweckt und eine ganze Kette psychischer Erlebnisse bilden kann, so kann auch der oberflächliche Eindruck der Farbe sich zu einem Erlebnis entwickeln.“ Eben diese Möglichkeit der verschiedensten Empfindungen und Erlebnisse bieten die Arbeiten von Christiane Middendorf, lässt man sich offen und frei auf die Kompositionen ein.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne wünsche Ihnen jetzt spannende Erlebnisse in der "Verborgenen Welt der Farben" von Christiane Middendorf und der Ausstellung viel Erfolg.
Donata Holz Kulturwissenschaftlerin