Rede zur Finissage von dem Kunsthisthoriker Pater Dr. Philipp O.Praem. im Kardinal Hengsbach Haus am 22. Januar 2006
Sehr geehrte Frau Middendorf, sehr geehrte Damen und Herren!
Mal ehrlich und Hand aufs Herz: Gehören sie nicht auch zu den Ausstellungsbesuchern, die nach einem flüchtigen Blick auf ein Bild schnell nach dem klärenden Titelschildchen neben dem Bild an der Wand Ausschau halten, um dann mehr oder weniger zufrieden festzustellen, dass man das Gesehene irgendwie doch erkannt hat und mit einem Begriff versehen hat, der den Moment des Zweifelns über das Dargebotene aufhebt.
„Bestätigung des Wahrgenommenen als kleiner Erfolg im Sehangebot eines qualifizierten Bilderdschungels“, unter diesem Aspekt könnte man auch einmal die Bedeutung einer Finissage oder Vernissage zu deuten versuchen.
Untersuchungen sagen übrigens, dass es nicht wenige Besucher gibt, die länger vor dem Schildchen neben dem Bild verweilen, als vor dem Bild selbst, was offenbar damit zusammenhängt, dass der Mensch in seiner Wahrnehmung primär neu gesehene Dinge altbekannten Mustern zu- oder gar unterordnet, weil das Bekannte, das Sichere und Bewältigte ist, dagegen das Neue und Fremde Irritation und nicht zuletzt Ängste hervorruft, weswegen er es möglichst schnell bewältigen will. Wahrnehmungspsychologen gehen soweit, dass sie sagen, der Mensch sehe vornehmlich das, was er kennt. Kein Wunder also, dass es Avantgardekunst und wahres Zeitgenossentum mit innovativen ästhetischen Formulierungen schwer haben von der breiten Bevölkerung wahr- und darüber hinaus auch ernstgenommen zu werden. Das Moment der Verunsicherung und Befremdung wiegt halt schwer – und das um so mehr, als dass wir heute wie keine Generation zuvor einer Bilderflut im ästhetisch konservativen Sinne ausgesetzt sind. Gerade das bewegte Bild macht es zusehends schwer noch gegen Sehgewohnheiten anzusehen, denn zu sehr sind wir offenbar darauf geeicht bildliche Botschaften schnell und möglichst eindeutig zu erkennen. Wie schwer ist es dann unvertraute Sehangebote wirklich wahrzunehmen. Wie steht es nun um die hier und heute gezeigten Bilder der Essener Künstlerin Christiane Middendorf, welche alle in den letzten Jahren entstanden sind. Auch hier könnte man schnell zu der scheinbar Sicherheit gebenden Lösung der auf der Preisliste angegebenen Titel blicken, um dem Dargebotenen eine begriffliche Deutung zu geben. Aber der Erfahrungsgewinn angesichts dieser Bilder ist um ein vielfaches höher, wenn man sich dieser Versuchung zunächst einmal versagt und ganz einfach versucht zu sehen und zu beschreiben, was man sieht.
Zunächst fallen die kräftigen, oft wohltuenden Farben ins Auge, die nicht monochrom aufgetragen sind und damit ihren individuellen handwerklichen Aufstrich verleugnen würden. Ganz im Gegenteil. Hier hat jemand mit feizügiger aber kontrollierter Geste die Farbe – es handelt sich um Acrylfarbe - auf den Bildgrund gebracht, so dass man jetzt noch den Entstehungsprozess des Bildes förmlich nachvollziehen kann. Wir stoßen hier bereits auf ein gewisses Paradoxon: Das fertige und damit statische Bild lässt eine Bewegung, eine Dynamik erkennen, die es dem Betrachter nicht möglich macht, an einer Stelle im Bild auszuruhen.
Immer wieder wird das Auge weggerissen und zwar nicht nur der Spachtel- oder Pinselführung folgend, sondern auch dem nuancenreichen Übergang der Farben selbst entsprechend, von Dunkelblau nach Hellblau, von Gelb nach Rot, von Grün nach Beige. Die einzelnen Farben lassen sich nicht mit eindeutigen Formen in eins setzen, so als würde Christiane Middendorf klar konturierte Flächen einfach ausmalen. Es sind vielmehr sanfte, fließende Übergänge, die wiederum Ausdruck einer Bewegung, einer Dynamik sind. Am ehesten lassen sich solche Dynamiken vergleichen mit Verschleierungen, einem Gewölk oder einer samtartigen Verschleifung, die allerdings auch stakkatoartigen Sequenzen nebeneinander gesetzter Striche kontrastierend ausgesetzt sind, deren Parallelisierung oder Wiederholung eine Steigerung und damit wiederum eine Dynamik bedeutet. Trotz dieser Bewegtheit, die nachzuvollziehen das Auge durch das Farb-Form-Spiel der Bilder angeregt wird, sind die Bilder nicht chaotisch oder konzeptlos. So sind die einzelnen Bilder nicht Ausschnitte aus einer sich ins Unendliche fortsetzenden Farbfläche, wie man es vom amerikanischen abstrakten Expressionismus her kennt, oder einer ausschweifenden Gestik wie bei Jackson Pollock und seinem action painting. Pollock tanzt um die auf dem Boden liegende Leinwand und lässt die Farbe in weit ausholenden Gesten auf die Bildoberfläche tropfen (sogenanntes dripping), welche die formale Begrenzung durch den Rahmen nicht zwingend berücksichtigt. Von solch ausschweifender Gestik kann man im Werk von Christiane Middendorf nicht reden, dafür sind die geschwungenen und gestischen Malvollzüge doch zu kontrolliert, so dass sich in den Bildern auch von Verdichtungen der Farbkompositionen sprechen lässt.
Die Künstlerin selbst spricht von ihrer Malerei als expressiv und verweist darauf, dass sie in ihrer Malerei Eindrücke verarbeitet, Episoden, Begegnungen des täglichen Lebens, so dass den Bildern fast in psychologischer Deutung der Charakter einer Gefühlslandschaft zuzusprechen ist. Ausdruck von Emotionen, die Übersetzung eigener Erfahrungen und Empfindungen in das Medium der nicht gegenständlichen Malerei, das ist die eine Dimension der Malerei von Christiane Middendorf. Die andere Dimension ist die, dass Wirklichkeit nicht nur verarbeitet wird, sondern, dass mit der Malerei selbst auch Wirklichkeit neu gestaltet, neu gesetzt wird. So reagiert Christiane Middendorf im Prozess des Malens immer schon auf das, was sie bisher gemalt hat. Äußere oder innere Eindrücke führen zu einer ersten bildlichen Artikulation, die wiederum neue Emotionen auslösen, auf die dann der weitere Malvorgang reagiert. So entsteht eine Wechselwirkung zwischen Bild und Künstlerin im Schaffensprozess. Schließlich geht es beim Betrachten der Bilder um einen ähnlichen Prozess.
Der Betrachter soll angeregt durch die Bilder mit ihrer ausgesprochen starken Farbwirkung und Formdynamik selbst bewegt werden, soll sich seiner Empfindungen angesichts der Bildobjekte bewusst werden, sich gegen die bildgewordenen Empfindungen der Künstlerin aufbäumen oder sich mit ihr vereinigen, um nur die Extreme einer emotionalen Reaktion zu benennen. Die Bilder wären dann so etwas wie Stimuli für die Expressionen des Betrachters.
Das Bild als Konzentrationspunkt emotionaler Ausdrucksformen zwischen Künstler und Betrachter bekommt hier eine mediale Funktion, wie sie übrigens auch in der klassischen Moderne z.B. bei Wassily Kandinsky zu beobachten ist. Kandinsky spricht in seiner Theorie der Kunstvermittlung von inneren Klängen, die er beim Anblick von Gegenständen oder Landschaften erfährt, die er dann in Farben umzusetzen sucht, welche schließlich beim Betrachter ähnliche Klänge hervorrufen sollen. Kandinsky schreibt: „Das innere Element, einzeln genommen, ist die Emotion der Seele des Künstlers. Diese Emotion hat die Fähigkeit, eine im Grunde entsprechende Emotion in der Seele des Beschauers hervorzurufen. Solange die Seele mit dem Körper verbunden ist, kann sie in der Regel Vibrationen nur durch die Vermittlung des Gefühls empfangen. Das Gefühl ist also eine Brücke vom Unmateriellen zum Materiellen (Künstler) und vom Materiellen zum Unmateriellen (Beschauer). Emotion – Gefühl – Werk – Gefühl – Emotion.“
Für Kandinskys Vermittlungsmodell gilt, dass dem ‚inneren Element’, der Emotion der Seele des Künstlers, das ‚äußere Element’, das materielle Werk, gegenübersteht. Damit aber das Werk dieselben Emotionen der Seele des Künstlers, die er ja fühlt, in der Seele des Betrachters auslöst, vermittelt durch die Vibrationen, die wiederum nur durch das Gefühl wahrgenommen werden, muss das Werk quasi die Verkörperung des inneren Elementes sein, das damit zum abstrakten Inhalt des Werkes wird.
Wie immer man zu Kandinsky und seinem Vermittlungsmodell steht, er versteht seine Bilder als zur Abstraktion geronnene Empfindungen, welche der Betrachter nachempfinden kann.
Auch die Bilder von Christiane Middendorf verstehen sich als zur Abstraktion geronnene Empfindungen, allerdings legt sie es trotz der subjektiven Titel, die sie den Bildern gibt, nicht darauf an, dass der Betrachter, wie bei Kandinsky, die gleichen Empfindungen wie die der Künstlerin nachempfinden muss. Der Betrachter ist frei in seiner assoziativen, affektiven, emotionalen Reaktion auf das gesehene Bild. Wem diese theoretische Annäherung mit dem Blick aus der Kunstgeschichte zu mühsam und strapaziös erscheint, der sei darauf verwiesen sich einfach dem Farbenspiel und den sich auflösenden Formen auszusetzen, um sich vielleicht ein wenig daran zu erfreuen, jenseits aller Titelgebung und Schildchensuche.
Lassen sie mich schließen mit einem Gedicht von Wassily Kandinsky, der sich ja nicht nur als Maler und Theoretiker, sondern auch als Lyriker über Kunst geäußert hat und in einem Gedicht das Sehen eines Bildes zum Inhalt macht. Das Gedicht liest sich teilweise wie eine Bildbeschreibung eines Bildes, das aber in der Vorstellung des Zuhörers erzeugt werden soll und damit einer inneren Schau Vorschub leistet. Es lässt sich aber auch in Hinblick auf einige Werke von Christiane Middendorf lesen, z.B. auf die Werke „Tobende See 1“ und „Tobende See 2“. Außerdem thematisiert das Gedicht die Rolle des Betrachters, der sich angesichts der äußeren wie inneren Bildbetrachtung verändert und zu einer neuen Wahrnehmung gelangen kann, die wie ein expressives Krachen beginnt, wenn er sich öffnet und sich von dem Gesehenen bewegen lässt.
„S E H E N
Blaues, Blaues hob sich, hob sich und fiel.
Spitzes, Dünnes, pfiff und drängte sich ein, stach aber nicht durch.
An allen Ecken hat’s gedröhnt.
Dickbraunes blieb hängen scheinbar auf alle Ewigkeiten.
Scheinbar. Scheinbar.
Breiter sollst du deine Arme ausbreiten.
Breiter. Breiter.
Und dein Gesicht sollst du mit rotem Tuch bedecken.
Und vielleicht ist es noch gar nicht verschoben: Bloss du hast dich verschoben.
Weisser Sprung nach weissem Sprung.
Und nach diesem weissen Sprung wieder ein weisser Sprung.
Und in diesem weissen Sprung ein weisser Sprung. In jedem weissen Sprung ein weisser Sprung.
Das ist eben nicht gut, daß du das Trübe nicht siehst: Im Trüben sitzt es ja gerade.
Daher fängt auch alles an---
--- Es hat gekracht.“
Ich wünsche Ihnen noch gute Eindrücke und Empfindungen im Betrachten der Bilder von Christiane Middendorf und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
© Dr. Philipp E. Reichling O.Praem., 2006