Eröffnungsrede zur Ausstellung "Farbkonzepte" von dem Kunsthisthoriker Pater Dr. Philipp O.Praem. im Abteizentrum Duisburg am 24. April 2005
Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.
Die Erde aber war Irrsal und Wirrsal.
Finsternis über Urwirbels Antlitz.
Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.
Gott sprach: Licht werde! Licht ward.
Gott sah das Licht: dass es gut ist.
Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis.
Gott rief dem Licht: Tag! und der Finsternis rief er: Nacht!
Abend ward und Morgen ward: ein Tag.
Keine Sorge meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind bei der richtigen Veranstaltung!
Es handelt sich hier heute morgen nicht um einen Bibelworkshop, der den Schöpfungsbericht, aus dem
wir gerade die ersten Verse in der Buber/Rosenzweig Übsetzung gehört haben, thematisieren will,
sondern um die Ausstellungseröffnung mit Werken der Essener Künstlerin Christiane Middendorf, die
ich zusammen mit ihrem Mann auch recht herzlich begrüßen darf.
Seit der Renaissance wird die „creatio ex nihilo“, die Schöpfung aus dem Nichts, wie sie in
einmaliger Weise im Buch Genesis, dem ersten Buch der Bibel beschrieben wird, gerne als Motiv für
die Kreativität des Künstlers verstanden, der sich – nicht unselbstbewusst – als kongenialer
Schöpfer versteht. So porträtiert sich im Jahre 1500 der große deutsche Maler und Kupferstecher
Albrecht Dürer, der damals gerade einmal 28 Jahre alt war, in der Gestalt einer Christusikone,
wohlweißlich, dass der Mensch als Abbild Gottes geschaffen durchaus göttliche Züge an und in sich
trägt.
In der Tat kann man den Schaffensprozess in der bildenden Kunst durchaus mit Elementen des Schöpfungsberichtes vergleichen, denn am Anfang steht da die leere Leinwand, weiß und unberührt und wartet auf einen geisterfüllten, schöpferischen Akt, der auf die Leere mit Farbe und Form reagiert und beidem bleibende Gestalt verleihen will. Dabei muss es, wie wir es seit dem Beginn der nichtgegenständlichen Kunst am Anfang des 20. Jahrhunderts wissen, nicht immer nur um figürliche Gestalten gehen, die hier auf der Leinwand festgehalten werden, Dinge, Sachen, Menschen, die wir aus der Realität kennen und im Bilde wiedererkennen können, sondern es können einfache Farben und Formen sein, die nichts außer sich selbst darstellen wollen, ein Punkt ist eben ein Punkt, eine Linie eine Linie, eine Farbe eine Farbe, kein symbolisches Zeichen, kein von der Wirklichkeit abstrahiertes Motiv, sondern es ist einfach was es ist, Farbe und Form auf weißen Grund aufgetragen.
Die Kunsthistoriker sprechen dann von der sogenannten „konkreter Kunst“, die selbstreferentiell ist,
d.h. eben nichts außer sich selbst darstellen will. Diese konkrete Kunst lässt sich dann noch weiter
unterscheiden in die sogenannte geometrische Kunst und das Infromel mit seinen vielen Spielarten,
wie z.B. dem lyrischen Expressionismus.
Christiane Middendorf erzählte mir, dass sie täglich mehrere Stunden malt, d.h. sich zunächst der leeren Leinwand aussetzt, das Unvollendete eines Bildes aushalten muss, Malresultate überprüft, verwirft, neu beginnt, stockt, nach anderen Lösungen sucht. Der Schöpfungsakt ist nicht mit einem Wort vollbracht, gesagt – getan, sondern, und da zeigt sich dann doch auch die unendliche Differenz zwischen göttlichem Schöpfer und menschlichem Geschöpf, der Kunstschaffende ringt mit sich, mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, mit seinem Anspruch und dessen Umsetzung im Bilde.
Bei Christiane Middendorf ist es wie beim Informel überhaupt, die Überwindung der klassischen
Kompositionsgesetze. Alle Bilder wirken wie Ausschnitte aus einem größeren Ganzen, aus dem heraus
ein bestimmter Moment, ein Detail herausgelöst, vergrößert, fokussiert zu sein scheint. Als ob eine
Situation, ein Prozess, eine Dynamik auf den Punkt gebracht wird. Die gestische Malweise, die
großzügige Bewegungen erahnen lassen, und der Kontrast mit einzelnen stakkatoartigen Sequenzen
scheinen diese Spannung der Dynamik, die auf den Punkt gebracht wird, das Ausschnitthafte zu
unterstreichen.
Die Malweise lässt daher an Gefühlsregungen denken, welche die Künstlerin in ihrem Schöpfungsakt vor
der Leimwand bewegt haben.
Die Expression des Emotionalen und nicht so sehr das bewusst Kalkulierte, programmatisch im
Vorhinein Festgelegte drückt sich in den Bildern aus, vor allem in der Farbgebung. Die Verwendung
starker, leuchtender Farben in allen Bildern scheint ein Ausdruck für den festen Willen des
Schöpferischen, des Schaffens zu sein. Kann man in den älteren Bildern „Welten 2“ und „Welten 3“
noch eine klarere Abgrenzung der Farben voneinander ausmachen, präsentiert sich die Farbgebung bei
den jüngeren Bildern fließender, geschichteter, an ein Farbgewölk erinnernd, das eher dem Gesetz der
Unschärfe folgt als dem der Klarheit. Gerade die extrem hellen und dunklen Farben scheinen den
Bildern eine räumliche Tiefe zu verleihen, indem sie Einblicke freigeben oder Zugänge
verstellen.
Wie begegnet nun der Betrachter diesen expressionistischen Farbausbrüchen? Wie kann er dem
zum Bild geronnenen Gefühlsausdruck, der ihn eher anfällt als dass er sich zurücknimmt oder gar
verweigert, standhalten?
Typisch für viele Kunstwerke des Informel und auch für die Bilder von Christiane Middendorf ist die
aktive Miteinbeziehung des Betrachters. Nicht die etwas naive und viel zu kurz greifende Frage: Was
will mir die Künstlerin damit sagen? ist hier gemeint, sondern der aktive Nachvollzug der
Bildwerdung. Folgen Sie mit ihren Augen einmal den Farbwirbeln und –strudeln, den wolkenartigen
Verdichtungen und Auflösungen, lassen sie sich von den hellen wie dunklen Farben in eine scheinbare
Tiefe des Bildes hineinziehen. Tänzerisch kann das Auge den Bewegungen, dem Schwung und den
Verläufen der gestischen Farbaufstriche nachgehen und kann so die Dynamik des Entstehungsprozesses
des Bildes nachempfinden.
Damit nicht genug. Auch die Farbgebung, Ausdruck starker Emotionen, will den Betrachter anrühren und
in ihm wiederum Gefühle hervorrufen. So werden die den Betrachter quasi anspringenden, schreienden
Farben zu einer Wucht, die ihn in den Bann ziehen und damit zu einer Reaktion herausfordern, der man
sich nur durch ein radikales Wegschauen entziehen kann. Aber schauen Sie gleich ruhig selbst einige
Minuten erst einmal auf ein Bild, damit Sie diese hier theoretisch formulierten Erfahrungen
nachvollziehen können. Die Bilder, zur Farbkomposition geronnener Ausdruck bestimmter emotionaler
Erlebnisinhalte, können so zum Auslöser eigener Emotionswerte werden.
Aber da ist noch etwas!
Christiane Middendorf entlässt ihre Bilder nicht, ohne ihnen noch einen Titel zu geben. Damit kann
keineswegs eine Hilfestellung der bereits als naiv denunzierten Frage gemeint sein: Was will die
Künstlerin mir mit diesem Bild sagen? Als ob der Titel das Vehikel zu einer einfacheren und
eindeutigen Interpretation des Bildes sei.
Die Titel sind nicht die Themen, die im Bilde illustriert sind, dass wäre eine Verkürzung des
kreativen Geschehens der Bildentwicklung und Bildfindung. Die Titelgabe ist ein zweiter
schöpferischer Akt, der emotional dem, was geworden ist, einen wiederum ganz subjektiven, eigens
empfundenen Namen verleiht: „Energy“, „Plasma“, „Begrenzung“, „Farbenspiel“ und „Blaues Spiel“,
„Erdige Versuchung“ und „Frühlingsgefühle“, wobei im letzten Titel ganz konkret die Gefühlswelt
angesprochen wird. Das sind die Titel, die Frau Middendorf ihren Bildern mit auf den Weg gibt, wenn
diese das Atelier verlassen und in andere Kontexte wie Galerien, Privatwohnungen, Ausstellungsräumen
oder wie hier ins Abteizentrum gestellt werden. Jeder Betrachter mit seinem Vorwissen, mit seinen
Erfahrungen und vor allem mit seinen Gefühlsregungen ist ein entscheidender Kontext für das
Bildverständnis. Denn erst im Betrachter kommt das Bild zu einem vorläufigen Ende!
Es wäre daher angemessen, wenn Sie als Betrachter erst die Bilder anschauen und selbst nach Namen
suchen, in denen sich ihre Empfindungen angesichts der Bildpräsentation einstellen. Damit
würde die Betrachtung zu einem kongenialen Schöpfungsakt, der dem Betrachter nicht mehr und nicht
weniger abverlangt, als sich, angeregt durch die expressiven Farbexplosionen, seiner selbst bewusst
zu werden, seinen Emotionen nachzuspüren und sich dieser auch zu vergewissern durch die
Namensgebung.
Ich kehre zu meinem Eingangstext aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel zurück. Nach der
eigentlichen Schöpfung findet auch hier eine Namensgebung statt, allerdings nach einer Art der
Qualitätskontrolle: „Er, Gott, sah, dass es gut war!“
Schöpferisch erschaffen, Geschaffenes beurteilen und es schließlich mit einem Namen versehen, so
ließe sich der Prozess im biblischen Schöpfungsbericht analysieren und strukturieren. Im Betrachten
der Bilder von Christiane Middendorf werden Sie herausgefordert im Nachgehen der gestischen
Bildgestaltung zu einer Art konkreativem Nachvollzug und einer gefühlsmäßigen Berührtheit, die Sie
auch zu einer Beurteilung bewegen soll und die schließlich in einer neuen, eben Ihrer Namensgebung
enden darf. Ich wünsche Ihnen bei diesem kreativen Prozess viel Erfolg und vor allem die Zeit, die
jede gute menschliche Schöpfung braucht.
Ich danke Ihnen.
Pater Dr. Philipp O.Pram., Kunsthisthoriker